Jedes politische Handeln geht von der Analyse der Realität aus, die uns umgibt; wir müssen also zunächst die Ursachen für diesen Krieg verstehen, die, wie ich meine, in einer tiefgreifenden Krise des herrschenden kapitalistischen Systems liegt und die auf vielen Ebenen in Erscheinung tritt:
Erstens, eine Wirtschaftskrise, die die ganze Welt erfasst hat. Die Subprime-Krise 2008, die Schuldenkrise ab 2011 und die Covid-19-Pandemie 2020 haben die Konzentration des Kapitals in den Händen nur weniger Holdinggesellschaften und Oligarchen verschärft (und ich spreche nicht nur von den russischen Oligarchen, sondern auch und hauptsächlich von denen der Vereinigten Staaten, wo 80 Prozent des gesamten Reichtums des Landes nur ein paar Familien gehört). Das neoliberale Modell der Globalisierung ist in einer profunden Krise.
Zweitens, eine geopolitische Krise provoziert beträchtliche Ungleichgewichte. Wenn der Imperialismus der Vereinigten Staaten auch in allen seinen Formen (finanziell, militärisch und kulturell) vorherrschend bleibt, beginnt er nunmehr aufgrund der Krise seines neoliberalen Modells Risse zu zeigen, in die sich neue Mächte mit globalen Ambitionen drängen, vor allem China, und in geringerem Umfang auch Russland. Die Invasion der Ukraine durch Russland muss also einerseits als Versuch gesehen werden, in die Bresche zu stoßen, die durch die Krise des Modells der globalisierten Ökonomie entstanden ist, aber andererseits auch als Ausdruck der imperialen Ambitionen Putins (siehe seine Ausführungen zu einer Rückkehr zum Modell des zaristischen Russlands).
Drittens, eine zivilisatorische und kulturelle Krise. Der Aufstieg ultrakonservativer und (neo-) faschistischer Kräfte weltweit (von Trump bis Bolsonaro, von Orbán bis Erdoğan, von Modi bis Meloni usw.) ist Ausdruck einer Krise der neoliberalen Subjektivität und der Unfähigkeit, eine fortschrittliche Alternative anzubieten. Das drückt sich gerade in dem Sieg der Rechten und der Ultrarechten in praktisch allen Ländern Europas aus sowie in der diskriminierenden Klassenpolitik (siehe zum Beispiel den „Doppel-Standard“ in der Migrationspolitik) usw.
In diesem globalen Kontext repräsentiert die Regierung von Giorgia Meloni in Italien ein beispielhaftes Modell der neuerdings herrschenden Politik unserer Epoche, insbesondere der Kriegswirtschaft. Vom dem Tag ihrer Ernennung als neue Premierministerin des Landes an hat G. Meloni die Kontinuität ihrer Politik bekräftigt, an den transatlantischen und europäischen Verträgen im Dienste der Vereinigten Staaten (ökonomische und finanzielle Sanktionen, Militarisierung des Ukraine-Konflikts, Freigabe der Nutzung italienischer Militärbasen und solcher der Nato für Operationen in diesem Krieg, Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für die Armee usw.) festzuhalten und – zugleich – an ihrer Politik gegen die arbeitenden Klassen: Blockierung der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, Antireform des Systems der Sozialhilfe, Fehlen eines industriellen Konzeptes, repressive Maßnahmen gegen Migrant*innen und andere „Minderheiten“. Ihre bellizistische Außenpolitik in Bezug auf den Ukraine-Konflikt findet ihre Entsprechung in einer bellizistischen Sozialpolitik gegen die Arbeiterklasse und das italienische Volk.
Wir sind davon überzeugt, dass es heute keine andere Möglichkeit gibt als sich dem politischen und sozialen Lager des Friedens anzuschließen. Aber wir sind uns auch der unvermeidlichen Verbindung zwischen dem Krieg im Äußeren und dem sozialen Krieg gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Ländern bewusst. Und deshalb können wir uns nicht mit der Forderung eines abstrakten Friedens begnügen, wir müssen diesen Begriff mit einem sozialen Inhalt füllen.
Für den Frieden sein bedeutet heute, jede Initiative für Verhandlungen zu unterstützen, sei es den Vorschlag von Xi Jinpings China, des Papstes oder des brasilianischen Präsidenten Lula; für den Frieden sein bedeutet für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, gestützt auf die Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen Entlassungen, für die Verteidigung ihrer Rentensysteme, für die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen; das bedeutet sich auf die Jugendbewegung zu stützen, die in der ganzen Welt auf die Straßen geht für Klimagerechtigkeit; und es bedeutet vor allem, die Verbindung und Zusammenführung all dieser Kämpfe in einer umfassenden sozialen Bewegung, die in der Lage ist, ein alternatives Modell zur Kriegswirtschaft zu schaffen.
Vereint sind wir alles, gespalten sind wir nichts!