Beitrag von Ludo De Brabander, Sprecher der pazifistischen Organisation VREDE und Autor, Belgien

Für einen Friedensplan für die Ukraine

Europa und die ganze Welt machen schwere Zeiten durch. Der scheinbar endlose -Krieg in der Ukraine belastet die Ukraine, Russland, Europa und die ganze Welt sehr. Wir erleben einen Aufschwung des Militarismus. Die Preise für Energie und Lebensmittel steigen, während die Kaufkraft sinkt und die Armut zunimmt. Unterdessen fließen Abermilliarden Gelder in die Rüstung. Die USA verheimlichen nicht ihr Ziel, das sie mit ihren Massenlieferungen von Waffen in die Ukraine verbinden: Es geht nicht darum, den Krieg schnell zu beenden, sondern Russland zu schwächen.

Wir als Friedensbewegung haben dafür agitiert, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verurteilen. In Russland sind konservative, nationalistisch-militaristische Kräfte an der Macht. Sie stehen für fast alles, was die Friedensbewegung bekämpft. Wir sagen den Verantwortlichen in Moskau geradeheraus: Stoppen Sie Ihre Kriegsmaschine!

Die Friedensbewegung engagiert sich für die Abrüstung, Entmilitarisierung, friedliche Koexistenz und Sicherheit. Deshalb lehnen wir eine Schwarzweißmalerei angesichts einer komplexen Realität ab. Diese bietet sich uns nicht als Krieg der Guten gegen die Bösen dar. In der Ukraine ist 2014 ein Konflikt über die nationale Frage in einen offenen Krieg ausgeartet, in den sich ihrerseits Supermächte einmischen zur Sicherung ihrer Hegemonie und für ihre materiellen Interessen, für den Marktzugang, Zugriff auf die Rohstoffe und Wertschöpfungsketten, für ihre geopolitische Macht. Das sind die gleichen Motive wie im Ersten Weltkrieg, die noch heute eine Rolle spielen.

Deshalb muss die Friedensbewegung entschlossen den Kampf gegen die Ziele dieses Krieges, aller Kriege, führen. Mehr denn je nutzt der militärisch-industrielle Komplex die Kriegslage aus, um Europa bis zum Äußersten zu militarisieren. Es geht bei weitem nicht um Waffen zur „Verteidigung“. In Wahrheit positioniert sich der westliche Wirtschaftsblock und bereitet einen langen Krieg vor gegen jene, welche die Nato als „systemische Rivalen“ bezeichnet.

Unterdessen entspricht die vor einem Monat gestartete ukrainische Gegenoffensive gegen Russland „auf keinem Frontabschnitt den Erwartungen“, nach den eigenen Worten hoher Verantwortlicher des Westens. In den letzten Wochen hat die ukrainische Armee nur wenige Dörfer und 130 Quadratkilometer zurückerobert, bei einer Frontlänge von 2500 km. Die russischen Verteidigungen können nicht leicht durchbrochen werden wegen großer Minensperren, Soldaten in tiefen Schützengräben und russischer Lufthoheit. Kurz gesagt soll verschwiegen werden, dass die ukrainische Gegenoffensive, von der oft die Rede war, am Ende scheitern könnte. Eine solche Niederlage passt nicht in die gängige Propaganda, weil sie den Konsens für die massive Aufrüstung der Ukraine aufbrechen könnte. Dass die Entwicklung anders verläuft, als es der Westen will, geht eindeutig aus einer Erklärung von Viersterne-General Mark Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, hervor: „Das wird lang andauern, das wird schrecklich mörderisch sein. Niemand sollte sich Illusionen über diese Aspekte machen.“

Die von Milley beschriebene Denkart erinnert an die im Ersten Weltkrieg vorherrschende: einige km Bodengewinn sind durchaus tausende Gefallene wert. Politiker und Generäle schreiben den Plan, und die Soldaten liefern das Kanonenfutter. Der illusorische militärische, „heldenhafte“ Sieg bleibt Monat für Monat im Schlamm und Stellungskrieg stecken.

Der jetzige Krieg kann in keinem der möglichen Szenarien gewonnen werden: eine lange festgefahrene Front, die tausende Gefallene und fortwährende Zerstörung kostet; oder Russland gewinnt die Oberhand und die Ukraine landet in einer schlechteren Position für Verhandlungen als heute; oder die Ukraine siegt. Doch im letzten Falle klammert man den Einsatz von Atomwaffen und die gefährlichen Folgen der Destabilisierung einer Atommacht aus. Keines dieser Szenarien kann den Frieden bringen. Und die gleichen, die die Ukraine bis an die Zähne bewaffnen wollen, werden nicht die Milliarden zahlen, die für den Wiederaufbau des Landes erforderlich sind.

Anders gesagt, die militärische Logik in diesem Krieg führt ins Nirgendwo. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Leid und Zerstörung richtet er im Land an.

Und trotz alldem stoßen die Aufrufe zum Waffenstillstand und zu Verhandlungen auf Tabus. Wer sie verbreitet, wird als Putins Agent geschmäht. Oder es wird behauptet, Putin wolle keinen Frieden und ihm sei nicht zu trauen. Das ist ein Teil der Wahrheit, wenn es keine Alternative zu den möglichen militärischen Szenarien gäbe. Dafür gibt es einen Präzedenzfall: Ende März 2022 berieten auf Anregung der Türkei Kiew und Moskau über ein Abkommen, doch dieser Ausweg wurde von London und Washington zugunsten der Kriegsoption blockiert.

Das Eingeständnis, dass dieser Krieg kein gutes Ende nimmt, könnte eine diplomatische Annäherung für einen Waffenstillstand und Verhandlungen bewirken. Der Abschluss eines dauerhaften Abkommens braucht Zeit, kann aber auch die Vernunft und einen politischen Willen stärken, wenn erst einmal die Waffen schweigen. Das Karfreitagsabkommen für Nordirland als Grundlage für den Frieden kam schließlich nach vielen Jahren hoffnungsloser Gewalt.

Mehrere Elemente müssen für einen Friedensvertrag zusammenkommen, der die verschiedenen Aspekte des gewaltsamen Konflikts abdeckt: 1.- Ende der russischen Invasion; 2.- Lösungen für die internen nationalen Fragen, die den Krieg im Donbass seit 2014 ausgelöst haben; 3.- geopolitische Entspannung zwischen der NATO / EU und Russland durch Respektierung der jeweiligen Sicherheitserfordernisse.

Der Krieg ist eine Herausforderung für die Friedensbewegung, die sich zur Zeit als zersplittert und unfähig darstellt, eine Politik zu definieren. Das wird sich mit der Zeit ändern und es wird klar werden, dass die Kriegspolitik hoffnungslos und gescheitert ist. Deshalb muss die Friedensbewegung immer wieder auf das Eine drängen: Offensive für einen Waffenstillstand, gefolgt von Verhandlungen für einen gerechten, aber auch dauerhaften Frieden. Die Militarisierung und der neue Rüstungswettlauf gehen auf Kosten der dringenden Investitionen für Soziales und Umwelt. Die Spannungen zwischen den Militärblöcken verhindern ein schnelles Handeln zur Rettung des Planeten vor dem Klimawandel, zur Überwindung der Ungleichheiten und der unerträglichen Armut, und um die Gefahr der Atomwaffen zu bannen. Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur, die voll dem Willen der Völker und gemeinsamer Sicherheit, die im gegenseitigen Interesse ist, entspricht.

Die Friedensbewegung muss ihre Überzeugungsarbeit für die Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen fortsetzen, dass wir die gleichen Interessen haben und wir eine gemeinsame Kampagne für Frieden und soziale Gerechtigkeit organisieren müssen.

Brüssel, 8. Juli 2023