Beitrag von Pierre Bonnier, Student an der Universität Nanterre, Frankreich

Guten Tag, ich heiße Pierre, bin 21 Jahre alt und Student in Nanterre in Frankreich.

Wie Ihr alle wisst, führen Moskau und Washington seit nunmehr 500 Tagen gegeneinander Krieg. Mit der makabren Folge, dass bereits 300.000 Soldaten gefallen sind. Wieviel davon waren Jugendliche?

Die wirtschaftliche Folge ist die Zunahme der Inflation. Überall in Europa steigen die Preise, man geht den europäischen Arbeiter*innen an die Gurgel, um einen Krieg zu finanzieren, den niemand von uns will. Das trifft besonders die Jungend, es ist normal in unserer Gesellschaft geworden, dass jung sein arm sein bedeutet. Das gilt auch für die Student*innen, von denen die Hälfte neben dem Studium arbeiten muss. Während Covid wurde der Preis für eine Mahlzeit in der Mensa auf einen Euro gesenkt. Dies wurde aber danach wieder rückgängig gemacht, um so 90 Millionen Euro einzusparen. Denn, man hat ja kein Geld. Aber für die 413 Milliarden für den Krieg, die das Parlament beschlossen hat, ist Geld da. Seht Euch die langen Schlangen vor den Tafeln an, viele dort sind in meinem Alter.

Ganz besonders von Armut betroffen sind die französischen Banlieus (Vorstädte). So ist die Pariser Banlieu Seine-Saint-Denis das jüngste und zugleich das ärmste Département Frankreichs. In den Banlieus sind die öffentlichen Dienste immer weniger präsent, und die es noch gibt werden finanziell ausgeblutet. Die Republik lässt diese Franzosen nach und nach fallen, die zum größten Teil aus unserem ehemaligen Kolonialreich stammen. Nur ein Teil des Staatsapparats macht sich vor Ort mehr und mehr bemerkbar: die Polizei. Als am 27. Juni der 17-jährige Nahel genau in Nanterre, 600 Meter von meiner Universität entfernt, exekutiert wurde, machte das schnell in den sozialen Netzen die Runde. Eine fürchterliche Frage stellte sich für viele Mitbürger: wie viele Nahels wurden wohl nicht gefilmt? Die Polizei war es, die Macron während der Bewegung der Gelbwesten an der Macht gehalten hatte. Die französische Polizei ist noch weit repressiver als die Polizei sonst in Europa. Und das bevorzugte Betätigungsfeld für die Gewaltexzesse dieser Staats-Polizei sind die Banlieus. Durch die Polizei Verletzte oder gar Getötete, das ist in Frankreich an der Tagesordnung. Das ist eine Klassenentscheidung: der Staat zieht es vor, seine Jungend zu verheizen statt in den öffentlichen Dienst zu investieren.

Das führt uns zu folgender Frage: Wer ist für die aktuelle Situation verantwortlich?

In ganz Europa werden die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften umgesetzt, indem die reaktionärsten Positionen übernommen werden. Die europäischen Regierungen sind bereit, zu den schlimmsten Schandtaten zu greifen, um die alte Ordnung aufrechtzuerhalten. In Frankreich bezeichnet Alliance, die größte Polizeigewerkschaft, die Bewohner der Banlieus jetzt als „Schädlinge“.

Die schlimmsten rassistischen Beschimpfungen ergießen sich über Berufsgruppen, die sich doch in der Corona-Krise als unverzichtbar erwiesen haben. In einer Krise, in der die Jugend zwei Jahre lang zu Hause weggesperrt wurde.

Und mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre raubt uns die Regierung weitere zwei Jahre unseres Lebens. In der Bewegung dagegen war die Jugend sehr engagiert und war sehr großen Repressalien ausgesetzt. Die Tatsache, dass die Banlieus sich gerade am Ende dieser historischen sozialen Bewegung erheben, zeigt den Grad des Klassenbewusstseins und der Motivation in dieser Bevölkerungsschicht.

Die Armee und die Polizei sind es, die in immer heftigerer Weise eine Jugend unterdrücken, der man die Zukunft nimmt. Die Repression der Polizei wird immer wilder. Statt mit sozialen Maßnahmen zu antworten zieht es die Regierung vor, die Daumenschrauben anzuziehen. Dies zeigt sich an den bisher unbekannten Methoden der Repression gegen die ökologische Bewegung. Es zeigt sich an der beabsichtigten militärischen Kasernierung der Oberschüler*innen. Für Lehrer, die sie das Denken lehren sollen, ist kein Geld da, aber sehr wohl für Militärs, die sie Gehorchen lehren sollen. Man kann durchaus fragen: mit einer rassistischen Polizei, einer Regierung, die die Wut in der Jugend und in den Banlieus anstachelt, und diesem Militärdienst: wohin geht Frankreich? Will die Regierung einen sozialen Zusammenstoß provozieren? Aber weiter: Die Teilnahme an diesem Militärdienst ist ein Auswahlkriterium für den Zugang zur Hochschulbildung. Denn Jahr für Jahr wird Hunderttausenden Jugendlichen der Zugang zur Uni verweigert, weil die Regierung die Studienplätze reduziert. Deshalb war die studentische Jugend in den letzten Monaten enorm mobilisiert, um im Rahmen der Ablehnung der Rentenreform gegen die Regierung zu kämpfen.

So muss man den Willen, dafür zu sorgen, dass die Jugend spurt, im Zusammenhang mit der Reaktion der französischen Regierung auf den Tod von Nahel sehen. Diese Regierung und ihre Justiz verüben ein Staatsverbrechen. Zur Erinnerung: der 17-jährige Nahel wurde mit einer Polizeikugel in den Kopf exekutiert, weil er sich nicht fügen wollte. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Jugend dieser Stadtviertel so heftig reagiert hat. Ebenso wenig darf man sich wundern, wenn eine so sehr benachteiligte Bevölkerung Lebensmittelläden plündert. Die Jugend wegen dieser Ausschreitungen anklagen? Wo die Regierung nichts als Gewalt ihr gegenüber kennt! Soziale Gewalt! Die Gewalt des Krieges, den sie in der Ukraine führt, mit all seinen Konsequenzen! Die Gewalt der Repression, wenn die Jugendlichen sich weigern, das Schicksal, das man für sie vorgesehen hat, anzunehmen! Mit einem Kommuniqué haben 100 politische und gewerkschaftliche Organisationen und Verbände zu einem Marsch zu Ehren von Adama Traoré aufgerufen, einem anderen 2016 durch Polizeigewalt Gestorbenen aus den Banlieus. Die Demonstration wurde verboten. Ein weiteres Symbol der Unterdrückung. Und gerade in diesem Moment wird in Paris wieder demonstriert. Ein Symbol des Widerstands.