Beitrag von Pedro Soares, Bloco de Esquerda (Linksblock), ehem. Abgeordneter, Portugal

Der Krieg ist die neue Niederlage der Europäischen Union. Wir haben bereits das Scheitern eines Europas erlebt, das angeblich die Solidarität fördert, das Entwicklungsniveau zwischen den Ländern und Regionen angleicht und in dem die demokratischen Werte grundlegend sind – ein Europa, das beispielhaft vorangeht bei der Verteidigung der Arbeitnehmerrechte und beim Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Heute, nach dem Balkankrieg, hat sich das Versprechen eines friedenstiftenden Europas in Luft aufgelöst. Bei Lichte betrachtet, wie konnte es auch anders sein? Was wir sehen, ist, abgesehen von der Kriegstreiberei, ein Europa von Verträgen, die einen neoliberalen Kurs diktieren, ein Europa, das die souveränen Rechte angreift, das relativ gleichgültig das Geschehen im Mittelmeer und die Menschenrechte betrachtet. Ein Europa, das von den USA und der NATO abhängig und bei seinen geostrategischen Entscheidungen nicht autonom ist.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der Konfrontation zwischen den Großmächten haben die Instabilität und der kriegstreibende Druck in den letzten Wochen zugenommen. Die kürzliche Meuterei der Wagner-Söldnertruppe mit dem russischen Oligarchen Jewgeni Prigoschin hat alle euro-atlantischen Bestrebungen für eine Strategie zur Verlängerung des Ukraine-Kriegs bis zu einem militärischen Sieg über Russland wieder angefeuert.

Die vermeintliche Schwächung von Putins Regime wegen des drohenden Marsches der Wagner-Söldnertruppe auf Moskau verstärkte die Diskussionen für eine Eskalation des Krieges und eine Stärkung der NATO-Positionen. Manche sagen, das ist die Gelegenheit, Russland militärisch zu besiegen. Kurz, die Mechanismen zur Kriegsunterstützung wurden beschleunigt und verstärken alle Gefahren für eine Eskalation.

Prigoschins Handeln als Reaktion auf die angekündigte Auflösung der Wagner-Söldnertruppe und ihre völlige oder teilweise Eingliederung in die reguläre russische Armee ist ein Anzeichen für den Kampf um die militärische und wirtschaftliche Macht und die Widersprüche in der Spitze der Oligarchenherrschaft. Darin zeigen sich weder Spaltungen in der russischen Gesellschaft noch das Streben nach mehr Demokratie und Frieden noch irgendeine Linie der Opposition gegen ein autoritäres, gewaltsames Regime, das die nationalen Reichtümer für den Profit der Oligarchen ausbeutet, tausende junge Russen in den Tod schickt und das Blutbad am ukrainischen Volk fortsetzt. Putin und Prigoschin sind Teufel einer wie der andere.

Unterdessen beschuldigen Russland und die Ukraine sich gegenseitig, die Explosion des AKW Saporischschja, des größten in Europa, zu beabsichtigen. Es hat schon die Sabotage der Gasleitungen Nordstream 1 + 2 und vor kurzem des Kachowka-Staudamms gegeben. Man kennt nicht die Verantwortlichen dieser Explosionen, es steht jedoch fest, dass sie stattgefunden haben, und wer auch immer daran schuld ist, es gibt keinen Zweifel, dass die Infrastrukturen wie Kriegswaffen eingesetzt werden, was sich direkt auf die Sicherheit der Menschen und die Umwelt auswirkt.

Ist es möglich, weiterhin mit großer Gleichgültigkeit an die dramatische Gefahr eines Angriffs auf Saporischschja, von wem auch immer, zu denken, der unermessliche Folgen für die Menschen, Landschaften und ökologischen Systeme haben würde?

Es muss alles getan werden, um die Erpressung zurückzuweisen und die Eskalation zu stoppen, die zu einem totalen Krieg zwischen imperialistischen Mächten führt, also von jenen aktuell vorherrschenden unter US-Führung und jenen der Schwellenländer und Blöcke, mit dem Risiko von Atomkatastrophen und dem möglichen Einsatz von Atombomben.

Die kürzliche Resolution des Europaparlaments vom 15. Juni, welche die Interessen des europäischen Kapitals beim Wiederaufbau der Ukraine nach Kriegsende vorbereitet, betont, dass „der Frieden als Ergebnis eines Siegs der Ukraine durch die Integration der Ukraine in die NATO und EU“ garantiert werden muss und „beschwört die NATO-Verbündeten, ihr Versprechen für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu erfüllen, und hofft, dass die kommenden Gipfeltreffen in Vilnius und Washington den Weg zu einer Einladung der Ukraine zu der NATO-Mitgliedschaft bahnen“. In dieser Resolution wird die Idee der Neutralität der Ukraine, der die ukrainische Regierung früher zugestimmt hat, zugunsten der Stärkung der NATO-Positionen in Europa in den Müll gekippt, und gleichzeitig wird mit allen möglichen Mitteln eine militärische Eskalation des Konflikts vorangetrieben. Leider gab es auch Linke, die für diese Resolution gestimmt haben.

Die wirklich realistische Lösung für den Krieg beginnt damit, das Gerede von der militärischen Eskalation zu verurteilen durch eine Stellungnahme der internationalen Gemeinschaft, die das mörderische Spiel zwischen den USA / EU und andererseits Russland ablehnt. In der Stellungnahme müssen ein sofortiger Waffenstillstand und der Beginn von Verhandlungen für einen Friedensplan, wie ihn Lula da Silva vertreten hat, gefordert werden.

So sieht der Kampf für Frieden aus, den eine mit den Völkern solidarische Linke auf einer Linie der Unabhängigkeit in jeder Instanz oder jedem Organ führt, in dem Bewusstsein, dass die Arbeiter*innen mit dem Krieg nichts zu gewinnen haben. Ein Kampf für Frieden mit der Losung „Putin raus aus der Ukraine, NATO raus aus Europa“.

Unter dem Schirm des Kriegs in der Ukraine spitzt sich der soziale Krieg in der EU zu. Die Demonstrationen in mehreren französischen Städten gegen den Polizeimord am 17-jährigen Nahel zeigen das tiefe soziale Problem, das um so größer wird, je mehr Macrons Neoliberale ihre Angriffe auf die Rechte und Einkommen einer immer mehr prekarisierten, diskriminierten und benachteiligten Bevölkerung verstärken, was sich auch auf Nord- und Südeuropa ausbreitet.

Der soziale Krieg konkretisiert sich in den allgemeinen und realen Lohnkürzungen durch Inflation und ständig steigende Lebenshaltungskosten, im Angriff auf die Arbeitnehmerrechte, ungeschützte Arbeitsverhältnisse und Uber-Methoden, durch Verschlechterung des öffentlichen Dienstes (d.h. des indirekten Lohns) und des Rechts auf eine angemessene Wohnung, in der „Transformation“ der Klimaschutzziele zu Quellen für neue Geschäfte, statt die Energieerzeugung gestützt auf fossile Quellen drastisch zu kürzen.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) im Gefolge des Maastricht-Vertrags diente der europäischen neoliberalen Elite als Instrument, um restriktive Staatshaushalte zu diktieren, den Sozialstaat zu zerschlagen und die Öffnung des öffentlichen Dienstes sowie der Sozialversicherungen für die Privatwirtschaft zu beschleunigen. Die Europäische Zentralbank (EZB) baut einen Mechanismus auf, der eine direkte Einmischung in die Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik derjenigen Länder ermöglicht, die nicht die SWP-Kriterien erfüllen. Damit werden die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, die dieser Maßnahme zustimmen, in die Enge getrieben und verzichten auf eine souveräne Politik, die den Interessen der Arbeitnehmer*innen und der Mehrheit ihres Volkes dienen könnte.

Sich Illusionen über die Möglichkeit zu machen, diese Politik durch das Handeln der EZB und ihrer Präsidentin Christine Lagarde zu kippen, ist gefährlich und erschwert den Kampf der Linken. Die Zinssätze werden weiter raufgesetzt – mit negativen Folgen für alle, die von ihrem Lohn/Entgelt oder ihrer Rente leben. Das betrifft besonders die Rückzahlung der Immobilienkredite. In ihrer letzten Rede auf dem Treffen der Präsidenten der Zentralbanken in Sintra hat Frau Lagarde den Arbeitnehmer*innen geantwortet, die Tariferhöhungen als Schutz gegen die Inflation wollen. Die EZB-Präsidentin will die Löhne für die angekündigte Fortdauer der Inflationskrise verantwortlich machen, statt auf die ständig wuchernden Profite der großen Wirtschaftskonzerne und Banken zu schauen.

Tatsächlich widerlegen die eigenen EZB-Vorhersagen dieses Argument, weil sie durchschnittliche Lohnerhöhungen in der Eurozone von 14% bis 2025 erlauben, während die bis zu dem Datum angesammelte Inflation von der gleichen EZB auf 20% geschätzt wird. Anders gesagt sind die Lohnerhöhungen ständig niedriger als die Inflation, was Reallohnverlust bedeutet, und es ist offenkundig falsch, die Löhne für die Krise verantwortlich zu machen.

In Wirklichkeit geht es Christine Lagarde darum, weitere Zinserhöhungen zu rechtfertigen, d. h. die Transfers an das Finanzsystem zu erhöhen, indem sie die Arbeit angreift und versucht, die skandalösen Gewinne zu verschleiern, die die Krise in den größten Wirtschaftsgruppen und Banken hervorbringt. Ziel ist es, ein rezessives wirtschaftliches Umfeld zu schaffen, das zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt, indem der Druck zur Lohnsenkung erhöht wird.

Die Zentralbanken verhalten sich in der Wirtschaft nicht neutral, sie geben vor, dem „Gemeinwohl“ zu dienen. In Wahrheit sind sie entscheidende Waffen im Klassenkampf des Kapitals gegen die Arbeit. Deshalb gewährt man ihnen „Unabhängigkeit“ gegenüber Wahlen und verschont sie vor weiterem demokratischen Kram. Ihre Sprache scheint rein „technisch“ und „wirtschaftlich“ zu sein – was aber nicht stimmt. Es ist die Sprache des aktuellen sozialen Krieges.

Es kommt grundlegend darauf an, die linken Kräfte in diesem sozialen Krieg zu vereinen: im Kampf gegen Lohnverluste, für die Verteidigung der Arbeitsrechte. Das geht einher geht mit der Forderung nach Maßnahmen gegen die Klima- und Umweltkatastrophe, und einem Bündnis für die Frauenrechte, mit LGBTQIA+ und Antirassisten, und indem in die sozialen Bewegungen der Kampf für Frieden, gegen die von der euro-atlantischen Achse gepredigte militärische Eskalation, mit aufgenommen wird. Auf allen Ebenen entstehen Elemente des Ungehorsams gegenüber der EU mit ihren Verträgen, und der sozialen Konfrontation mit der neoliberalen Elite. Sie bilden ein wesentliches politisches Element für den Widerstand, den Kampf gegen die Rechtsextremen und den Populismus – für den Aufbau einer politischen und sozialen Alternative.