Interview mit Reiner Braun, einer der Initiatoren der Demonstration in Berlin am 25. November

In dem folgenden Interview begrüßt Reiner Braun, einer der Initiatoren der Demonstration, den Vorschlag, die Demonstration in anderen Ländern bekannt zu machen und europaweit Grußworte zu schicken: „Große Teile der Bevölkerungen Europas unterstützen die kriegerische Politik ihrer Regierungen nicht. Isoliert in den einzelnen Ländern schafft es niemand, diese EU-Kriegsallianz aufzubrechen – vereint könnten wir es schaffen!“

Das Interview:

Du bist seit Jahrzehnten Aktivist der Friedensbewegung. Kannst du dich selbst vorstellen?

Seit meiner Studienzeit engagiere ich mich für Frieden und Abrüstung. In den 80. Jahren als Mitarbeiter des Krefelder Appels und als Geschäftsführer der Naturwissenschaftlerinitiative Verantwortung für den Frieden. In den letzten Jahren war ich Präsident und Executive Director des Internationale Peace Bureaus, des weltältesten und größten Friedensnetzwerks. Heute bin ich bei aktuellen Kampgenen aktiv; bei der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“, bei „abrüsten statt aufrüsten“ und jetzt auch in der Vorbereitung der bundesweiten Demonstration am 25.11 gegen den Wahnsinn der Aufrüstung und die aktuellen Kriege.

Du gehörst zu den Initiatoren des Aufrufs: „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“. Am Anfang des Aufrufs wird auf die zahlreichen Kriege und militärischen Auseinandersetzungen hingewiesen, die aktuell die Welt bedrohen. Mit dem Krieg im Nahen Osten, dem barbarischen Angriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung und der militärischen Offensive Israels zeigt sich die Tendenz zur Verallgemeinerung des Krieges. Unterstreicht das nicht noch einmal die Notwendigkeit, alle Anstrengungen darauf zu konzentrieren, durch eine massive bundesweite Mobilisierung dem Kampf für den „Stopp der mörderischen Gewaltspirale!“, sei es in Nahost, in der Ukraine, auf dem Balkan…, eine unüberhörbare Stimme zu geben?

In dem Aufruf verweisen wir darauf, dass zurzeit 21 Kriege und 216 bewaffnete Konflikte stattfinden. Die bundesweite Demonstration ist eine besondere Herausforderung. Sie muss verschiedene Entwicklungen verbinden und stärken: als erstes den Druck für Waffenstillstand und Verhandlungen für den Ukrainekrieg zu erhöhen und eigene diplomatische Anforderungen von der Bundesregierung zu verlangen. Waffenlieferungen und Sanktionen müssen beendet werden. Diese Forderungen sind untrennbar verbunden mit einer zweiten politischen Herausforderung. Die wahnwitzige Aufrüstungspolitik zu stoppen. Deutschland gibt 85,5 Milliarden für Rüstung aus und zur gleichen Zeit werden alle Etatposten für Soziales, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit, Umwelt teilwiese bis zu 30% gekürzt. Eine Streichorgie sondergleichen zugunsten einer Kriegs- und Hochrüstungspolitik, die immer mehr Menschen in den Abgrund reißt. Dass es keinerlei Anstrengungen unserer Mainstreamparteien gibt, diese offensichtliche Kriegsspirale durch Friedensbemühungen zu unterbrechen, sondern sich an die Spitze der Aggression zu setzen, löst in der Bevölkerung teils Entsetzen und Ohnmacht aus. Deutschland kommt durch seine Geschichte eine besondere Bedeutung zu, für die Friedensordnung einzustehen, was derzeit aus dem allgemeinen Bewusstsein gelöscht werden soll, was aber nicht widerstandslos gelingt. Bis zu 50% lehnen konstant die Waffenlieferungen in die Ukraine ab.

Strategisch sind diese Herausforderung verbunden mit der geopolitischen Herausforderung: wo steht Deutschland im Ringen um die neue Weltordnung, als Vasall an der Seite der USA oder unabhängiger als Mitgestalter einer multilateralen Weltordnung, die sich dem Grundgedanken der globalen Gerechtigkeit verbunden führt. Die aktuell schlechteste Regierung und Opposition in der Geschichte unseres Landes ruiniert dieses Land politisch, ökonomisch, sozial und moralisch durch die sklavenhafte Gefolgschaft (mit Eigeninteressen) der USA, also mit einem “Weiter so“ einer neokolonialen kriegerischen Politik. Eine Politik, die bereits durch die antikolonialen Zusammenschlüsse im Globalen Süden nicht nur in der Sackgasse fest steckt, sondern historisch unumkehrbar ist . Wir wollen die Alternative: Frieden, Demokratie, Gemeinsame Sicherheit, gerechten Welthandel. Das ist der strategische Hintergrund dieser bundesweiten Demonstration als ein Element einer längerfristigen Auseinandersetzung, bei der wir gemeinsam mit dem Globalen Süden, den BRICSPlus Staaten also der großen Mehrheit der Menschen und auch der Regierungen agieren.

Ihr ruft zur bundesweiten Kundgebung anlässlich der Haushalteberatung auf. Für die horrende steigenden Kosten der Kriegspolitik zahlt die Bevölkerung mit katastrophalen Kürzungen in allen sozialen Bereichen. Die Regierungen in den meisten NATO-Ländern Europas werden in den Parlamenten solche sozialzerstörerischen Kriegshaushalte für 2024 vorlegen. Am 30. September haben Friedensaktivisten, Abgeordnete, verantwortliche Gewerkschafter und Persönlichkeiten aus sechzehn Ländern ein Europäisches Verbindungskomitee „Gegen den Krieg – gegen den sozialen Krieg“ geschaffen. Der konstituierenden Sitzung lag Euer Aufruf für den 25.11. vor und ist auf ein beträchtliches Echo gestoßen. Es wurde der Vorschlag diskutiert zu überprüfen, wie in weiteren europäischen Ländern Aktionen oder Versammlungen gegen die Verabschiedung der Kriegshaushalte organisiert werden können. In einigen Ländern wurde Euer Aufruf in Medien veröffentlicht. Könntest Du dir vorstellen, dass dieser europaweiten Initiative am 25. 11. ein Platz gegeben werden könnte (z.B. über Grußadressen, eine Delegation…)?

Große Teile der Bevölkerungen Europas unterstützen die kriegerische Politik ihrer Regierungen nicht. Isoliert in den einzelnen Ländern schafft es niemand, diese EU-Kriegsallianz aufzubrechen – vereint könnten wir es schaffen! Alle, die gegen den Rüstungswahnsinn und seine dramatischen Folgen mit uns demonstrieren wollen, sind willkommen. Die weltweite Aufrüstung stoppen, heißt runter von den mehr als 2 Billionen, die jährlich für Krieg und Zerstörung ausgegeben werden. Deswegen ist diese Demonstration wie auch die Friedenskonferenz in Wien für einen Waffenstillstand in der Ukraine politisch international und global. Grußworte, Delegationen, bekannt machen der Demonstration in anderen Ländern und Unterstützung sind deshalb mehr als willkommen. Wir müssen uns international viel mehr vernetzen und zu mehr Gemeinsamkeiten kommen.

Das gilt bei aller Bedeutung der Vernetzung mit dem Globalen Süden erst recht für unsere Vernetzung in Europa. Traditionelle internationale Organisationen wie das Internationale Friedensbüro und neue Initiativen müssen enger und wirkungsvoller zusammenarbeiten, besonders vor den Europawahlen. Das ist auch die beste Absage an alle rechtsradikalen Parteien, die dem nationalistischen Militarismus und der Aufrüstung eng verbunden sind. Wir brauchen überall eine neue Atmosphäre des Friedens, der Kooperation und der Verständigung. Ein Europa des Friedens muss unser gemeinsames Ziel sein und dieses muss Russland – und zwar von Anfang an – einbeziehen, bei aller berechtigten Kritik an der russischen Politik. Ein Europa des Friedens ohne Russland ist undenkbar und widerspricht den auch von
Brandt und Palme formulierten Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit.

Es gibt für mich noch einen wichtigen Punkt, den wir auf der Demonstration – in Vorbereitung und natürlich auch danach immer wieder ansprechen müssen: die Atomwaffen, ihre Modernisierung, die neuen Atomwaffen der USA in Europa, das nukleare sharing. Es bleibt richtig: entweder wir schaffen die Atomwaffen ab, oder eines Tages diese die Menschheit. Die Atomuhr steht auf 90 Sekunden vor 12!!

Gibt es schon Überlegungen, wie die Kampagne nach dem 25. 11. weitergeführt werden kann?

Es ist sicher verständlich, wenn ich erst einmal sage: lasst uns die Demonstration zum Erfolg machen, dann ist es einfacher, optimistischer die Zukunft zu gestalten.

Es bleibt, alles zu tun für Verhandlungen und Waffenstillstand in der Ukraine einzutreten und die Bundesregierung von ihrem Kriegskurs abzubringen – schwer, aber notwendig, um eine Dynamik zu noch Schrecklicherem zu verhindern.

Obwohl wir sicher noch über vieles weiter nachdenken müssen, will ich einige Gedanken sagen, die ja auch in eurer europäischen Vernetzung eine Rolle spielen. Wir brauchen vielfältige Aktionen, Kongresse und Veranstaltung vor den EU-Wahlen.

Nur wir thematisieren die Friedensfrage, nur wir thematisieren die untrennbare Verbindung von sozialem Desaster und Hochrüstung, die Kriegstreiber werden sie scheuen, wie der Teufel das Weihwasser.

Wer außer uns sagt denn etwas zu den zutiefst unmoralischen Profiten der Rüstungskonzerne in Europa und überall auf der Welt, wer thematisiert die EU-Militarisierung? Ich kann mir vor den Europawahlen eine europaweite Friedensdemonstration in Brüssel vorstellen.

Nicht vergessen sollten wir 2025: den 70 Jahrestag der KSZE-Konferenz in Helsinki. Eine großartige Gelegenheit unser gemeinsames Haus Europa, eine neue europäische Sicherheitsarchitektur einzufordern. Vielleicht können wir in Vorbereitung auch werben für eine Konferenz für Sicherheit und Entspannung im Mittleren und Nahen Osten, um aus dieser Logik von Krieg, Zerstörung und Terror endlich auszubrechen und den Menschen überall in der Region eine Zukunft in Frieden zu ermöglichen.

Des Weiteren sollten wir auf allen Ebenen, unsere Zusammenarbeit mit den Ländern des Globalen Südens entwickeln und ausbauen: mit den Regierungen, Parlamenten, Gewerkschaften und anderen Initiativen der Zivilgesellschaft. Nicht einfach und auch nicht überall möglich, auch angesichts autoritärer Machtstrukturen in vielen Ländern des Globale Südens – aber ein strategisches Ziel., um eine neue gerechtere Weltordnung zu erreichen.

Das Interview als PDF-Datei: