Rede von Jörn Rieken (IG Bauen-Agrar-Umwelt, IG BAU, Berlin) auf der Europäischen Konferenz am 2. November 2024

Liebe Kollegen,

Der entscheidende Ansatz wurde heute bereits mehrfach angesprochen: ein wirkungsvoller Widerstand gegen Krieg und Aufrüstung erfordert eine strukturelle und dauerhafte Massenbewegung. Obwohl Aktionen von Bewegungen und Bürgerinitiativen teilweise Erfolge bei ihren Themen erzielen konnten, sind die meisten von ihnen mittlerweile kaum mehr aktionsfähig. Für einen wirkungsvollen Widerstand gegen die geballte Macht der Instrumente des kapitalistischen Systems braucht es die organisierte Kraft der abhängig Beschäftigten, und zwar die Gewerkschaften – im Inneren gegen die neoliberale Umverteilungspolitik und im äußeren gegen die Kriege des „Werte-Westens“.

Zu deren Finanzierung wurde der Rüstungsetat bereits in den letzten 10 Jahren von 30 Mrd. auf 80 Mrd. erhöht. Das geschah vorwiegend, um ökonomisch weniger entwickelte Länder, die sich der Dominanz des Westens entziehen wollten, in ihren Grundfesten zu zerstören. Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren diese „demonstrativen Kriege“ recht „effektiv“ darin, weitere Länder des Globalen Südens von Widerständen abzuschrecken.

Der finanzielle Aufwand gegen Russland und demnächst China dürfte wesentlich höher ausfallen. Schon wurden 100 Mrd. Sonderschulden aufgetürmt, von weiteren 500 Mrd. ist bereits die Rede. Genügten früher etwas über 1% des BSP zur Finanzierung der Zerstörung unbotmäßiger Länder, wird für den laufenden Krieg gegen Russland und den zukünftigen gegen China mit mindestens 4% des BSP gerechnet.

Für die meisten Deutschen ist der ukrainische Kampfplatz bisher nur medial präsent. Aber der Krieg kommt täglich näher: mit der für Deutschland angekündigten Stationierung atomar bestückbarer US-Mittelstreckenraketen, dem geplanten Ausbau von auf Kriegschirurgie spezialisierten Krankenhäusern für bis zu 1.000 Schwerverletzten pro Tag, dem Ausbau von Brücken für deren Panzertauglichkeit, usw. Die erforderlichen Ressourcen zur Kriegsfähigkeit werden dabei aus anderen Bereichen abgezogen, d.h. es wird schlicht umverteilt: zivile Krankenhäuser werden geschlossen, die zivile Infrastruktur wird nicht mehr instand gehalten, seien es Straßen, Schienen, Krankenhäuser oder Schulen.

An dieser Umverteilung müssen wir ansetzen, bei den abhängig Beschäftigten, deren Löhne seit vielen Jahren kaum noch die Inflation ausgleichen, deren Arbeitsalltag und Lebensumfeld zunehmend prekärer wird.

Weitgehender Konsens herrscht über das in den letzten Jahren immer drängender werdende Problem von drastisch angestiegenen Mieten. Ungefähr die Hälfte der Deutschen sind Mieter, ca. ein Drittel von ihnen müssen mittlerweile mindestens 30% ihres Einkommens für Miete aufwenden. Der private Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen ist praktisch zum Erliegen gekommen, im sozialen Wohnungsbau fallen seit Jahren mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus als neue bebaut werden.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt fordert daher seit einiger Zeit ein Sondervermögen von 50 Mrd. für sozialen Wohnungsbau. Und zwar als „Vermögen“, da die gebauten Wohnungen ja im Bestand bleiben, und nicht wie die „Sonderschulden“ für Rüstung, deren Aufwendungen volkswirtschaftlich als „Verbrauchsmaterial“ gelten, während sie faktisch als „Vernichtungsmaterial“ zu bezeichnen wären.

Angesichts der sich ständig verschärfenden Problemlage auf dem Wohnungsmarkt wurde der Vorschlag eines „Sondervermögens Sozialer Wohnungsbau“ während der letzten Jahre von verschiedenen Regierungen zumindest rhetorisch in Betracht gezogen. Kurz nach Kriegsbeginn mit Russland wurde das Vorhaben gänzlich ins Reich der Utopie verbannt. Inzwischen ist nur noch weiterer Aufrüstung die Rede – 500 Mrd. zusätzliche Sonderschulden zur Finanzierung zur umfassenden Kriegsfähigkeit, während 50 Mrd. für soziales Wohnungsbauvermögen als utopisch abgewertet werden.

In fast in der gesamten Nachkriegsgeschichte hatten wir eine Trennung zwischen der Friedensfrage und der sozialen Frage. Durch die massive Aufrüstung wird diese Trennung inzwischen aufgehoben. Jeder Euro, der in Rüstungshaushalten versenkt wird, fehlt zukünftig für Bildung, Sozialpolitik, den sozial-ökologischen Umbau und den sozialen Wohnungsbau.

Ein führender regierungsnaher Wirtschaftswissenschaftler hat das zusammengefasst mit „Kanonen statt Butter“. An diesem Punkt müssen wir als Gewerkschaften ansetzten – an den unmittelbaren Bedürfnissen der abhängig Beschäftigten in Nutzung öffentlicher Dienstleistungen, seien es Wohnen, Ausbildung, Mobilität oder Umwelt. Hier müssen wir die Diskussion führen, in den Betrieben, in Betriebsversammlungen, in den Gremien. Auch wenn unsere Anträge zumeist abgelehnt wurden, aber erste Erfolge, zumindest die Diskussion auf Gewerkschaftskongressen zu fördern, haben ver.di, IG Metall und IG BAU bereits erzielt. Hier müssen wir beständig weiterbohren.

Ich danke für eure Aufmerksamkeit.

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