Rede von Ludo De Brabander, Sprecher der Friedensorganisation Vrede (Frieden) und Publizist, Belgien, auf der Europäischen Konferenz am 2. November 2024

Nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober hagelte es empörte Reaktionen und Unterstützungsbekundungen aus der EU. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, hieß es. Aber wie kann sich eine Besatzungs- und Kolonialmacht, ein Apartheidstaat und Aggressor verteidigen?

Mehr als ein Jahr danach möchte ich Euch einige schockierende Beobachtungen mitteilen.

In Gaza sind wir Zeugen eines Völkermords und groß angelegter Kriegsverbrechen durch eine rechtsextreme, faschistische Regierung, die offen eine Politik der ethnischen Säuberung und der Ausweitung der derzeitigen Grenzen Israels befürwortet. Mehr als 43.000 Menschen wurden getötet, Krankenhäuser und Schulen angegriffen, medizinisches Personal getötet oder entführt. Im Libanon wendet Israel dieselben Terrormethoden an, wobei die Zahl der Todesopfer bereits 3.000 erreicht hat und ganze Dörfer in die Luft gesprengt wurden. Besonders schockierend ist, dass dies offen und ohne Bestrafung geschieht. Die Täter selbst filmen ihre Verbrechen.

Eine weitere schockierende Tatsache ist die Mittäterschaft des Westens bei diesem medialisierten Völkermord. Seit Oktober letzten Jahres, als Israels brutale militärische Niederschlagung begann, haben die USA Israel Militärhilfe im Wert von 17,9 Milliarden US-Dollar bewilligt. Noch nie war die Militärhilfe der USA für Israel so hoch. Auch Deutschland leistet weiterhin Militärhilfe, obwohl Kriegsverbrechen von den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen umfassend dokumentiert wurden. (Im Jahr 2023 erteilte Berlin Lizenzen für Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von 326 Millionen Euro. Seit August hat Deutschland diese Unterstützung wieder aufgenommen und seitdem Hilfsgüter im Wert von fast 100 Millionen Euro geliefert.) Diese militärische Unterstützung wird von diplomatischer und wirtschaftlicher Unterstützung begleitet. Israel bleibt ein privilegierter Partner der EU. Es nimmt im Rahmen eines Assoziierungsabkommens an Forschungs- und Entwicklungsprogrammen teil und genießt Handelsvorteile. Gemäß dem 2005 vereinbarten Aktionsplan EU-Israel basieren die gemeinsamen Beziehungen auf „gemeinsamen Werten wie Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Grundfreiheiten“. Was für eine Heuchelei!

Ebenso schockierend ist die Weigerung, den sogenannten grundlosen Krieg in der Ukraine zu beenden. Die NATO hat diesen Krieg mit ihrer Entscheidung provoziert, der Ukraine die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der Militärallianz zu geben, obwohl sie wusste, dass dies für Russland inakzeptabel war, das unter anderem eine so lange direkte Grenze mit der NATO teilt und dass dies das Ende der langjährigen russischen Militärpräsenz auf der Krim bedeuten würde. Die Invasion der Ukraine durch Russland stellt zwar einen inakzeptablen Verstoß gegen die UN-Charta dar, doch dieser Krieg hätte vermieden werden können, wenn der Westen die russischen Sicherheitsvorstellungen berücksichtigt hätte. Moskau bekräftigte Anfang September 2024 seine Bereitschaft, auf der Grundlage der bei den Verhandlungen in Istanbul im Frühjahr 2022 erzielten Vereinbarungen an einem Tisch zu sitzen.  Doch für die NATO geht es nicht um die Ukraine, sondern um die strategischen Interessen der NATO, Russland zu schwächen. Der Westen ermutigte die Ukraine, den Krieg mit massiver militärischer Unterstützung und auf Kosten unzähliger Opfer und massiver Zerstörung fortzusetzen. Die Ukraine wird benutzt und aufgerieben, indem ihr durch massive westliche Militärunterstützung ein Zermürbungskrieg aufgezwungen wird. Die Fortsetzung des Krieges geht eindeutig zu Lasten der Ukraine, die immer mehr von ihrem Territorium verliert und mit enormen menschlichen und wirtschaftlichen Kosten konfrontiert ist.

Die selektive Empörung über israelische und russische Aggressionen ist auffällig. Auf der Website des Europäischen Rates kann man nachlesen, dass die EU massive und beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Wir warten immer noch auf die erste Sanktion, die diesen Namen verdient und gegen Israel verhängt wird. Diese Doppelmoral untergräbt das internationale Rechtssystem, zumal Israel nun offen die UN-Institutionen selbst angreift.

Eine weitere Folge ist die Militarisierung der EU- und NATO-Mitgliedstaaten zum Nachteil der Diplomatie, der öffentlichen Dienste und des Umweltschutzes. Die NATO-Mitgliedstaaten machen bereits mehr als die Hälfte der weltweiten Militärausgaben aus, und wenn der aktuelle Trend anhält, wird dieser Anteil stark zunehmen. Laut NATO werden die Militärausgaben der europäischen Mitgliedstaaten und Kanadas in diesem Jahr um fast 20 Prozent steigen. Dies ist ein gefährlicher Trend, der zu einem globalen Wettrüsten beiträgt.

Die Friedensbewegung trägt Verantwortung. Auch wenn das politische und mediale Klima nicht zu unseren Gunsten ist, sehen wir, wie Menschen auf die Straße gehen, um sich gegen Kriegspolitik und Doppelmoral zu wehren.

Zuallererst ist ein Waffenstillstand dringend erforderlich (in Gaza, im Libanon und anderswo) … Ein Boykott Israels, Desinvestition und Sanktionen, beginnend mit einem vollständigen Militärembargo.

In Europa verstehen immer mehr Menschen, dass mehr Waffen und mehr Militarisierung keine Sicherheit schaffen, sondern Unsicherheit. Mehr denn je müssen wir uns an Gewerkschaften, die Umweltbewegung, Jugend- und Frauenorganisationen und den Rest der Zivilgesellschaft wenden, um das Blatt zu wenden. Militarisierung führt zu angespannten Beziehungen zwischen den Nationen und zu einem Mangel an Ressourcen, um drängende globale Herausforderungen anzugehen. Was wir brauchen, ist eine unteilbare gemeinsame Sicherheit zwischen Nationen und Menschen. Wir können nur sicher sein, wenn andere sich sicher fühlen.

Wir sollten unsere Kräfte gegen die Kriegspolitik vereinen und uns auf dem NATO-Gipfel Ende Juni 2025 in Den Haag mobilisieren. Wir müssen den wahnsinnigen und geldgierigen Militarismus stoppen! Wir müssen uns für das internationale Rechtssystem einsetzen und uns gegen diejenigen stellen, die es zerstören und nach den Gesetzen des Dschungels handeln wollen. Wir müssen die wahre, hegemoniale Natur der NATO aufzeigen. Ihr seid herzlich eingeladen, am 21. November (um 18 Uhr MEZ) an einem vorbereitenden Webinar mit dem Titel „Das wahre Gesicht der NATO“ teilzunehmen.

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