Rede von Peter Eisenstein, Fred og Rettferdighet (FOR, Frieden und Gerechtigkeit), Norwegen, auf der Europäischen Konferenz am 2. November 2024

Zunächst möchte ich denjenigen unter Euch, die unsere Parteivorsitzende Marielle Leerand erwartet haben, sagen, dass sie ihre solidarischen Grüße sendet und bedauert, dass sie heute nicht bei Euch sein kann. Und sowohl sie als auch ich entschuldigen uns dafür, dass wir keinen besseren Ersatz finden konnten.

Aber ich möchte mich für die Gelegenheit bedanken, über die Bedingungen in Norwegen zu sprechen.

Norwegen ist ein Land der Gegensätze. Während jeder weiß, dass Norwegen eine wunderschöne Natur hat, gibt es eine deutliche Zunahme von Krankheiten, die auf langfristige Umweltzerstörung zurückzuführen sind. Der Boden und das Wasser, die sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Fischindustrie genutzt werden, sind so stark verschmutzt,  dass sich dies nun in schweren Krankheiten bei denjenigen messen lässt, die früher gesunde Lebensmittel waren, wie Wildlachs und Forelle, ganz zu schweigen von Zuchtlachs.

Vor kurzem protestierten norwegische Gymnasiasten gegen Schulschließungen. Ihre Proteste stießen bei der Regierungskoalition, den Sozialdemokraten und der Zentrumspartei, der früheren Bauernpartei, auf taube Ohren. Selbst die Bauernpartei ist jetzt an Bord, um das norwegische Land zu entvölkern.

Die Ausgaben für das Gesundheitswesen sind aufgrund der jüngsten Pandemie schwer einzuschätzen. Die Gesundheitsausgaben sanken von einem Höchststand von 10,5% des BIP vor der Pandemie im Jahr 2016 auf 8% im Jahr 2022, dem letzten Jahr, für das solche Aufzeichnungen verfügbar sind. Das ist eine Kürzung von mehr als 20%. Gleichzeitig haben Organisationen wie der Internationale Währungsfonds Norwegen aufgefordert, Reformen wie die Kürzung von Krankengeld und Invalidenrenten zu verabschieden. Die aktuellen Haushaltsanpassungen der Regierung zeigen, dass sie diese Vorschläge als Befehle auffasst.

Eine rosige Zukunft ist in Norwegen jedoch garantiert, wenn man in der sogenannten „Verteidigungsindustrie“ tätig ist. Für 2025 schlägt die Regierung vor, das Verteidigungsbudget um fast 20 Milliarden NOK auf 110 Milliarden zu erhöhen. Das ist eine Steigerung von mehr als 20%. Darüber hinaus schlug die norwegische Regierung am 8. Oktober vor, die Gesamtmittel für die Ukraine von 75 Milliarden Kronen auf 135 Milliarden zu erhöhen. Das ist eine Erhöhung um 80% und entspricht mehr als 12 Milliarden Dollar. Es sei darauf hingewiesen, dass es sich hierbei eher um ein Minimum als um eine Obergrenze für die Finanzierung handelt. Vor einer Woche, am 24. Oktober, berichtete die norwegische Finanzpresse, dass der Waffenhersteller The Kongsberg Group Rekordergebnisse erzielt habe. Die Zeitung erklärte weiter: „Die Kongsberg-Gruppe ist in diesem Jahr der klare Gewinner an der Börse, mit einem Anstieg von mehr als 140%.“ Sie fügte hinzu: “Der Krieg in der Ukraine hat die Nachfrage nach den Produkten der Kongsberg-Gruppe erhöht und der Auftragsbestand des Unternehmens liegt bei einem Rekordwert von 96,9 Milliarden NOK.“ Norwegens Wandel zu einer Nation des Krieges zeigt sich auch in dem Krieg, den es gegen seine eigene Umwelt führt. Dieselbe Regierung hat kürzlich dem Sprengstoffhersteller Chemring Nobel eine Genehmigung erteilt, seine Stickstoffemissionen um 400% zu erhöhen. Die Schlagzeile des norwegischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders NRK bringt es auf den Punkt: „Verteidigung geht vor Umwelt“.

Die Realität verdeutlicht diese Widersprüche:

  • Es reicht nicht aus, eine der längsten Küsten der Welt zu haben, Norwegen muss sich auf die ökologische Katastrophe einlassen, die die Fischzucht darstellt.
  • Es reicht nicht aus, nach Öl zu bohren, Norwegen muss sicherstellen, dass ein Großteil des Öls für die Kriegsmaschinerie verwendet wird.
  • Es reicht nicht aus, dass Norwegen mehr als genug Geld hat, um seinen Bürgern ein Leben in Würde zu ermöglichen, es muss sicherstellen, dass so viel Geld wie möglich in Produkte fließt, die bei sachgemäßer Verwendung das Leben auf der Erde beenden werden.
  • Es reicht nicht aus, dass fast die Hälfte der norwegischen Belegschaft gewerkschaftlich organisiert ist, die Regierung den Empfehlungen des IWF folgt, um die Organisationskraft ihrer eigenen Bürger zu schwächen.
  • Es reicht nicht aus, dass Norwegen international als friedliche Nation gilt.

Es muss diesen Ruf nutzen, um die NATO zu stärken und der Zusammenarbeit mit dem Hegemon der Welt, den Vereinigten Staaten, ein freundliches Gesicht zu verleihen.

Während andere europäische Länder zweifellos einen ähnlichen Weg eingeschlagen haben, hat Norwegen nicht wegen seiner Bevölkerungszahl, sondern wegen der Größe seines Ölfonds. Es gibt einen wunderbaren englischen Ausdruck: „Money talks, bullshit walks“. Ich muss nicht darauf hinweisen, dass es sich hierbei um einen Ausdruck im amerikanischen Englisch handelt, nicht um das King’s English. Der Ölfonds hat erhebliche Investitionen in israelische Unternehmen getätigt, was Norwegen zu einem Komplizen bei allem macht, was Israel tut. Und die Geschichte ist nicht viel anders für die Ukraine. Der jüngste Bericht des in Kalifornien ansässigen Oakland Institute, Krieg und Diebstahl: Die Übernahme des Agrarlandes der Ukraine zeigte, dass der norwegische Ölfonds auch einen nicht unerheblichen Teil des Landes in der Ukraine besitzt.

Auch in dieser Hinsicht ist Krieg für Norwegen ein Segen. Norwegen war vielleicht einmal ein Land des Friedens, aber heute macht es sich nicht einmal mehr die Mühe, die Farce aufrechtzuerhalten. Am 7. Oktober, dem Jahrestag des Angriffs auf Israel und des 76. Jahrestags der ethnischen Säuberung Palästinas entschied sich der König, eine Kippa zu tragen und die ultra-zionistische Synagoge in Oslo, die Mosaiske Trosamfunn, zu besuchen. Der König hat noch kein Wort über den Völkermord in Palästina verloren.

Norwegen war vielleicht einmal ein Land des Friedens, aber heute gibt es dort nicht einmal eine einzige politische Partei, die antizionistisch, antiimperialistisch und NATO-feindlich ist. Dies ist – so glaube ich – die wichtigste Entwicklung in Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist wichtig, weil die beiden Parteien, die kürzlich ihre Plattform geändert haben, um die NATO zu unterstützen, nun auch per Definition pro-zionistisch und pro-imperialistisch sind.

Wie jeder weiß, gibt es bei der NATO kein Menü à la carte. Das nächste Ziel des US-Imperialismus wurde bereits vom damaligen Präsidenten Barack Obama angekündigt, als er die „Hinwendung nach Asien“ proklamierte – eine nicht allzu versteckte Drohung gegen China. China verfügte zu dieser Zeit nicht über ein großes Militär, stellte aber dennoch eine große Bedrohung für die wirtschaftliche Hegemonie der USA dar. Im Zuge von Obamas „Hinwendung nach Asien“ wurde die NATO 2016 in diesen zukünftigen Konflikt hineingezogen. Laut der Website der NATO hat sie „sich zunehmend politisch mit ihren Partnern im indopazifischen Raum – Australien, Japan, der Republik Korea und Neuseeland – auf der Ebene der Außenminister zusammengetan, um die Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses und den Aufstieg Chinas zu erörtern“.

Noch wichtiger ist, dass China sich zwar verteidigen kann, andere, verwundbarere Völker auch Ziele der NATO-Aggression sind (oder von der NATO als „Übeltäter“ angesehen werden, die besiegt werden müssen). Eine solche Gruppe sind die Palästinenser.

Die NATO verfolgt zwar keine direkte Politik gegen Palästinenser, hat aber im Rahmen ihres „Mittelmeerdialogs“ eine Partnerschaft mit Israel geschlossen. Laut NATO ist der „Dialog“ ein “Partnerschaftsforum, das zur Sicherheit und Stabilität im Mittelmeerraum beitragen soll …“. Israel ist ein festes Mitglied dieser „Partnerschaft“, zusammen mit anderen amerikanischen Vasallenstaaten wie Ägypten und Jordanien.

Die Welt von heute muss nicht daran erinnert werden, wie Israel „Sicherheit“ definiert. Das bedeutet, dass die beiden früheren norwegischen Anti-NATO-Parteien, ob sie es wollen oder nicht, ob sie sich dessen überhaupt bewusst sind oder nicht, jetzt die „Sicherheit“ Israels aufrechtzuerhalten. Sie mögen zwar behaupten, dass sie Palästina unterstützen, aber durch ihre Unterstützung der NATO helfen sie Israel, seinen Völkermord an den Palästinensern fortzusetzen.

Ich bin stellvertretender Vorsitzender der Stiftung FOR – fred og rettferdighet (FOR ist die Abkürzung für Frieden und Gerechtigkeit). Wir sind auf dem Weg, eine politische Partei zu werden, die aus der Frustration heraus entstanden ist, dass der größte Teil, wenn nicht sogar der gesamte Reichtum Norwegens in Kriegsinstrumente umgeleitet werden. Dies geschieht mit Unterstützung einer angeblich freien Bürgerschaft, die in Wirklichkeit durch ein Bildungssystem, das kritisches Denken einschränkt, geistig gefangen gehalten wird, und einer Konzernpresse, die eine einfache, aber verdrehte Version der Realität präsentiert. Angesichts dessen sind wir bei FOR in den letzten zwei Jahren aktiv gewesen und haben an so vielen Fronten wie möglich so viel wie möglich getan. Unser Hauptziel ist es derzeit, die erforderlichen Unterschriften zu sammeln, um die Partei für die anstehenden nationalen Wahlen im Herbst 2025 anmelden zu können. Wir nehmen auch unsere Aufgabe ernst, die Öffentlichkeit über den Verrat ihrer sogenannten demokratisch gewählten Führer zu informieren.

Zusätzlich zu einem Treffen in Oslo mit „Gegen den Krieg – Gegen den sozialen Krieg“ im Juni dieses Jahres, an dem einige von Euch teilgenommen haben, gehören zu unseren weiteren Bildungsaktivitäten die Konferenzen 2022, 2023 und 2024 zu Julian Assange und Redefreiheit, an denen u. a. der britische Politiker Jeremy Corbyn, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist Chris Hedges und die Schauspielerin Liv Ullmann teilgenommen haben; eine Konferenz zum Thema „Medien im Schatten des Krieges“ mit Teilnehmern wie Dr. Mads Gilbert aus Gaza, Professor Jeffrey Sachs, SOAS-Professor Haim Bresheeth, Dr. Ghada Karmi, Dr. Deepa Govindarayan, der ehemalige britische Botschafter Craig Murray, US-Oberst Douglas MacGregor und unser Freund Professor Glenn Diesen; ein zweiteiliges Seminar mit Live-Online-Diskussionen mit Exilanten und politischen Gefangenen in Kiew, Ukraine; und zuletzt haben wir eine lebhafte Konferenz „Frieden [Fred] ist ein Wort mit vier Buchstaben“ mit den ehemaligen irischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments Clare Daly und Mick Wallace sowie dem Rüstungsexperten und Autor Andrew Feinstein, beide in Oslo und Trondheim, organisiert.

Nächsten Monat organisieren wir gemeinsam mit der Friedensgruppe Lay Down Your Arms und dem diesjährigen „The Real Nobel Peace Prize”-Träger David Swanson, Direktor von World Beyond Arms, organisieren. Und bereits im Januar nächsten Jahres werden wir zusammen mit dem Institute for the Public Interest (IPI) eine internationale Konferenz in Oslo mit dem Titel „Stop the Wars“ organisieren.

Abschließend möchte ich Euch versichern, dass wir großen Wert auf die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern, wie Euch, legen. Wir glauben, dass eine echte Zusammenarbeit zwischen den Völkern und Kulturen Europas ein Gegenmittel gegen die soziopathische Geisteskrankheit sein kann, die die aktuelle europäische politische Landschaft durchdringt.

Danke

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