Genossinnen und Genossen,
ich rede hier als Aktivist und Vertreter der gewerkschaftlichen Basisinitiative ´Sagt NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden´. Wir haben uns vor etwas mehr zwei Jahren im Vorfeld der Gewerkschaftskongresse der ´Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di´ und der ´Industriegewerkschaft Metall / IGM´ (zwei der weltweit größten Einzelgewerkschaften mit zusammen mehr als 4 Mio. Mitgliedern) organisationsübergreifend und mit einer klar antimilitaristischen und internationalistischen Perspektive zusammengefunden, um den von unseren Vorständen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund/DGB eingeschlagenen Kurs der aktiven Kriegsunterstützung und des Burgfriedens zu verhindern. Das ist uns noch nicht gelungen. Aber mittlerweile unterstützen unseren Aufruf fast 30.000 gewerkschaftlich organisierte Kolleg*innen in über 120 Städten in Deutschland und zunehmend auch Kolleg*innen aus anderen Ländern.
Wer den imperialen ´Frieden´ des kapitalistischen Deutschland und der kapitalistischen Europäischen Union nicht kritisieren will, der soll von seinem Militarismus lieber schweigen, denn:
„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ , wie es der Französische Sozialdemokrat und Antimilitarist Jean Jaurès bereits Jahre vor dem Ausbruch des I. Weltkrieges treffend festhielt.
„Die Dividenden steigen und die Proletarier fallen.“
Das konstatierte Rosa Luxemburg schon 1911.
Daran hat sich offensichtlich
- trotz des Schlachtens im I. und II. Weltkrieg mit mehr als 90 Millionen Toten,
- trotz des von den Nazis exekutierten industriellen Massenmord an den Europäischen Juden, Sinti und Roma, dem mehr als sieben Millionen Menschen zum Opfer fielen, und
- trotz Korea, Vietnam, Jugoslawien, Tschetschenien, Georgien, Irak, Afghanistan, Lybien, Jemen, Kurdistan, Armenien, Ukraine und Palästina und bereits mehr als 70 Millionen weiteren Kriegstoten seit dem Ende des zweiten imperialistischen Weltverteilungskrieges weltweit NICHTS! geändert.
Wir leben heute in einer Welt, die uns nur zu vertraut vorkommen müsste: entgrenzte Aufrüstung, Militarisierung, Krieg, Hunger- und Flüchtlingskatastrophen. Deutschland schickt sich zum dritten Mal in seiner Geschichte an, die stärkste Militärmacht Europas werden zu wollen.
Aber neu ist:
Wir wissen inzwischen, wie oft die Arbeiter*innenbewegung an solchen Punkten stand – und wie sie gehandelt hat:
- Die sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführungen in ganz Europa schickten 1914 unter Bruch aller vorherigen Beschlüsse ihre Mitglieder in den Krieg – angeblich `gegen den russischen Despoten-Zaren`, tatsächlich aber für den Profit von Krupp, Thyssen und Co.
Konsequenterweise wurde der Burgfrieden erklärt und jede Klassen- und Arbeitskampfauseinander-setzung eingestellt, die Streikunterstützung ausgesetzt.
- Die jeweils nationalistisch aufgehetzte und verblendete Basis ließ sich überwiegend willig und gar begeistert auf die Schlachtbank ihrer Ausbeuter schicken… Millionen Tote, Verstümmelte und Vertriebene waren die blutige Konsequenz; solange, bis 1917 der Rote Oktober in Russland als erste auf längere Dauer erfolgreiche historische revolutionäre Erhebung der Arbeiter*innen und Soldaten das Signal zu weiteren Erhebungen quer durch Europa und faktisch das Ende des Gemetzels einleitete…
- Auch während des Endes der Weimarer Republik in Deutschland, angesichts des europaweit aufkommenden Faschismus und dann im Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht war es nicht die Mehrheit der deutschen Arbeiter*innen, die Widerstand leistete.
Die meisten funktionierten in den Rüstungsbetrieben, marschierten mit, hofften auf den eigenen Vorteil – oder schlicht darauf, zu überleben.
Und – machen wir uns da nichts vor!
Viele – nicht nur in Deutschland – funktionieren schon wieder. Aus Angst vor Krieg oder Arbeitsplatzverlust. Aus Ohnmacht. Aus innerer Kündigung.
Und – auch das sollten wir nicht vergessen – zur Bewahrung ihrer eigenen verbliebenen Privilegien, ihres kleinen ´Stücks vom Kuchen´, der Krümel vom Tisch der Herrschenden –
als Teil der, global betrachtet, kleinen ´Wohlstandsinseln´ des globalen Nordens.
August Thalheimer – ein Genosse der deutschen Kommunistischen Parteiopposition – hat es 1930 klarer gesagt, als ich es je könnte: Der Faschismus braucht keine bewussten Massen – er braucht ihre Passivität. Ihre Verwirrung. Ihr Gewährenlassen.
Das ist die Realität 2025: Der Krieg nach außen stützt sich auf die Disziplin nach innen und das Gewährenlassen von immer noch viel zu Vielen. Der autoritäre Kapitalismus braucht die Fügsamkeit der Masse wie der Panzer seinen Diesel; und die Systemgewerkschaften als Steigbügelhalter im Burgfrieden.
Das ist bitter, aber notwendig zu erinnern. Denn nur so wird klar: Widerstand fällt nicht vom Himmel. Er ist immer das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, eines Bruch mit der verordneten ´Normalität´ der Herrschenden und der Vielen.
„Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere.
Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn.
Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ , so stellte es Karl Marx schon vor 160 Jahren fest…
Seit Beginn des Ukraine-Krieges stieg allein der Kurs der Rheinmetall-Aktie von knapp unter 100,- €uro auf deutlich über € 1.900,- Mitte September diesen Jahres (2025); relative Steigerung: 1.900%…!!!
„… 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“
Am 1. September diesen Jahres – dem 86. Jahrestages des Angriffs der faschistischen deutschen Wehrmacht auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, trafen sich auf Einladung des HANDELSBLATTs – der wichtigsten Wirtschafts- und Managementtageszeitung in Deutschland – die Profiteure des Todes und Kriegsgewinnler mit Generälen der Bundeswehr und Bürokraten des Kriegs- und Rüstungsministeriums zusammen mit hochrangigen Gewerkschaftern im Maritim-Hotel Düsseldorf bei Champagner und Canapés zur weiteren Planung ihrer Kriege. Überschrift: ´Wirtschaftsfaktor Rüstung 2025. Einladungstext:
„Für ein mögliches ´olivgrünes Wirtschaftswunder´ braucht es mehr als Geld: Entscheidend sind klare politische Leitlinien, die Skalierung verteidigungsindustrieller Kapazitäten und neue Partnerschaften – von Maschinenbau über Automotive bis hin zu Hightech-Branchen. Es gibt viel zu besprechen…“
So ´feiert´ der Militärisch-Industriell-Digitale-Komplex auf seine ganz eigene und perverse Art den Antikriegstag. Und mittendrin auf dem Podium mit dabei: Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall – der größten deutschen Gewerkschaft; Repräsentant von rund 2 Millionen Beschäftigten…
Freundliche Nachfragen von uns , was er da zu suchen hatte, hat der Kollege Kerner bisher unbeantwortet gelassen… Gewerkschaftsboss am Tisch mit Rüstungskonzernchefs und Militärs… Wen erinnert das an etwas?!
Böses der/dem, die/der Böses dabei denkt…!
Wer nicht spätesten jetzt gegen den imperialistischen Krieg, Militarismus und den neuen Burgfrieden aufsteht, ist – heute wie gestern – morgen gezwungen, für die laufenden und nächsten Kriege zu produzieren und sie am Ende selbst, in Person zu führen und zu erleiden – bis zum bitteren Ende auf dem Schlachtfeld.
Die Geschichte und unsere Kämpfe lehren: Kriege und Aufrüstung werden nicht von oben gestoppt, sondern von denen, die für nationalistische und militaristische Verhetzung zahlen und im Krieg als erste leiden. Die Gewerkschaft gehört den Mitgliedern, nicht den Vorständen und den Kriegstreibern des Militärisch-Industriell-Digitalen Komplexes .
Sie gehört denen, die Löhne und Leben verteidigen – nicht denen, die an Kriegen verdienen.
Deshalb, Genossinnen und Genossen, ist es hohe Zeit von der Analyse zur Meuterei zu kommen!
„Meuterei“ – das klingt groß. Aber was heißt es eigentlich?
Es heißt: Sand ins Getriebe der Kriegsmaschine!
Rheinmetall, Krauss-Maffei, Airbus – sie bauen ihre Waffen nicht von allein. Sie leben von unserer Arbeit. Deshalb zählt jede Verweigerung.
Widerständigkeit beginnt im Alltag, in jeder Situation.
In jedem Zusammenhang klar, laut und unmissverständlich Nein! sagen. Und wie wirkungsvoll das sein kann, das haben uns die Kolleginnen und Kollegen in Italien, Griechenland und Frankreich in den vergangenen Wochen wirklich massenhaft und vorbildlich gezeigt.
Aber auch jedes kleine Sandkorn gegen die Normalisierung der Barbarei und die massenhafte Abstumpfung ist Teil der Meuterei; ist Sand im Getriebe der Kriegsmaschinerie.
Und genau deshalb braucht es unser NEIN!
- Nein! an der Werkbank und in der Betriebsversammlung.
- Nein! auf dem Schulhof und im Hörsaal.
- Nein! in der Praxis und im Operationssaal.
- Nein! in der Polizei und in der Armee.
Und: Dieses Nein! darf nicht vereinzelt bleiben.
Erst wenn wir es kollektiv aussprechen und leben, wird daraus eine Macht.
Darum stellen wir uns gegen jede Unterordnung unserer Gewerkschaften unter den imperialen Kurs – gegen jede Kooperation mit der Kriegsindustrie, gegen jede Beteiligung an Wehrertüchtigungs-Programmen, gegen jede ideologische Soldatisierung der Arbeitswelt.
Die Gewerkschaften gehören nicht an den konzertierten runden Tisch der Kriegsregierung – sie gehören an die Seite der internationalen Arbeiter*innenklasse.
Wir sagen: Der Hauptfeind steht im eigenen Land – aber nicht nur dort.
Er steht überall, wo der Krieg geführt wird im Namen von Kapital, Nation, Gott oder ihrem sogenannten ´Fortschritt´.
Ihrem ´Fortschritt´, der Menschen und Natur einem ausschließlich verwertungsorientierten, zunehmend technokratischen, maschinellen und entfremdenden System unterordnet, der aufgrund seiner inneren Logik zwingend und beschleunigt klimatische Verwüstung, Krisen, Krieg, Verhetzung, Verrohung und Entsolidarisierung produziert.
Diesem System gilt unser Widerstand. Gegen seine Logik richtet sich unsere Meuterei.
Unsere Solidarität gilt nicht Staaten oder Nationen, sondern unseren Klassengenoss*innen, den Kriegsdienstverweiger*innen, den Deserteur*innen, den Streikenden, den Geflüchteten, den Widerständigen. Überall!
Unsere Meuterei beginnt nicht morgen, nicht irgendwann. Sie beginnt heute. Hier. Mit uns!
Wir verweigern uns der Barbarei und kämpfen für das schöne Leben für alle in einer im Frieden mit der Mitwelt lebenden Menschheit.
Hata la victoria siempre!
Siehe auch:
➯ Internationale Konferenz gegen den Krieg in Paris am 4./5. Oktober 2025 – Beiträge